Düstere Zukunft

Angelo Algieri, « Düstere Zukunft » [Sombre avenir], SF Magazin,  avril 2011.

Pour mémoire :

Die Menschheit steht vor dem Abgrund. Erst recht nach dem Schwarzen Krieg, etlichen Bürgerkriegen und Genoziden danach. Dazu Klimakatastrophe mit schwarzem Ruß- und Erdölregen. Mit genmanipulierten Tieren, vor allem Vögel. Das sind einige der düsteren Zutaten des Science-Fiction-Romans „Mevlidos Träume“ vom französischen Autor Antoine Volodine.

Der Protagonist Mevlido soll es richten. Er wird vom Organ seiner Partei beauftragt, bei den Untermenschen die Weltrevolution anzuzetteln. Lange Zeit trainiert er für die Reinkarnation, um im Ghetto bei den Untermenschen geboren zu werden und seinen Auftrag auszuführen. Allerdings besteht ein Problem: Nach der Wiedergeburt, weiß Mevlido nicht mehr wer er ist und woher er kommt. Die Partei hat ebenfalls Schwierigkeiten ihn zu finden. Doch es gibt die Träume als Kommunikationsmittel. Mit 50 Jahren hat Mevlido einiges erlebt: Darunter Bürgerkriege und Genozide – seine Frau Verena Becker ist von Kindersoldaten gefoltert und misshandelt worden. Er vermutet, dass sie gestorben sei. Er ist nun mit Maleeya zusammen. Doch sie verwechselt ihn mit ihrem verstorbenen Mann Yasar. Mevlido arbeitet bei der Polizei – auch wenn er mit der Attentäterin und Anarchistin Sonia Wolglan sympathisiert und ihr gelegentlich hilft.

Doch irgendetwas – zunächst als kurzes Bild, dann als Erinnerung – sagt ihm, dass er noch ein anderes Leben mit anderen Personen gekannt hat. Dabei helfen ihm die Träume, die so realistisch sind, dass er mit Vögel, wie beispielsweise mit der Rabenfrau Gorgh spricht, Sex hat und Ratschläge bekommt. Die zukünftigen Hominiden merken teils den Übergang von der Realität zum Traum kaum. Als ein Unfall mit Linda Siew, Mevlidos ehemaliger Frau vor der Reinkarnation, geschieht, weiß er daraufhin, dass er zur Halde gehen muss. Die Halde ist ein sehr abgelegener Ort, einst lag dort die Stadt Kuala Lumpur. Er geht dorthin, um sich mit dem Kommandanten der Sondereinheit der Partei zu treffen. Allerdings hat sich im Laufe der letzten 50 Jahre die Partei geändert: Sie setzen nicht mehr auf die verdeckten Mitarbeiter, sondern die Führung setzt auf eine andere Spezies: auf Spinnen. Mevlido stirbt in einem der drei Schlussbilder des Romans. Während in einem anderen Schlussbild Mevlido Verena wiedersieht. Sie ist vor den Kindersoldaten geflohen, doch sie ist seitdem unter Schock. Nur über die Träume hat man zu ihr Zugang. So dringt Mevlido in ihren Traum ein, ohne auf sich aufmerksam zu machen.

Autor Volodine, Jahrgang 1949, zeigt sehr plastisch, wie die Zukunft der Menschheit aussehen könnte. Nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen. Er schildert eindrücklich den Alltag in einer unwirtlichen Zukunft: Kriege, Gewalt, Klimakatastrophe beeinflussen zwischenmenschliche Beziehungen und die eigene Psyche.

Trotz vieler schwerverdaulicher Themen, gibt es ironische und unterhaltsame Elemente in diesem Roman. So zum Beispiel die Bolschewikinnen, die durch die Straßen mit sinnlosen Parolen skandieren, etwa „VERGISS NICHT DEIN DUMMES GESICHT, VERGISS ALLES!“ Oder wenn Mevlido beteuert, die Ziele der Partei nie verraten zu haben, auch wenn er nicht weiß, welche die Ziele sind.

Neben den ironischen Elementen besticht der Roman durch die Verstrickung verschiedener Erzählebenen. Da haben wir zunächst einen Ich-Erzähler, der die Geschichte von Mevlido erzählt. Dieser Ich-Erzähler dokumentiert die „Heldentaten“ von Mevlido. Kurz vor Schluss erfährt man, dass man Auszüge von verschiedenen dieser verfassten Dokumentationen/Bücher gelesen hat. Ein begeisterter Leser oder Archivar schaltet sich ein. Was zum einen an andere Bücher erinnert, wie zum Beispiel an „Jacques der Fatalist und sein Herr“ von Denis Diderot – der Erzähler schaltet sich ein und fängt an, seine Geschichte zu erzählen.

Zum anderen jedoch sind diese Kapitel, in denen der begeisterte Leser auftritt, problematisch. Denn er erklärt Antoine Volodine ‘s Lesern unter anderem, wie die Figur Mevlido und die dazugehörigen Bücher zu interpretieren seien. Sie seien dem Post-Exotismus zuzuordnen – eine vom Autor eigens kreierte Kategorie, in der er seinen Roman sehen möchte. Und das ist, mit Verlaub, stark in den Interpretationsraum des Lesers eingegriffen. Volodine entmündigt so den Leser und spricht ihm die Kompetenz ab, das Buch auf seine eigene Weise zu lesen. Volodine ist nicht der einzige: Der deutsche Autor Sascha Reh hat diese entmündigende Unart ebenfalls in seiner Debütprosa „Falscher Frühling“ umgesetzt. Ein bedauerlicher Trend!

Ärgerlich zudem ist in Volodines Roman der barocke Stil, der zu einem Science-Fiction-Roman gar nicht passen will. Der Stil wirkt behäbig, aufgesetzt und teils sehr geschwollen. Zudem hätte der Autor gut daran getan einiges zu kürzen und zu straffen – auch der Spannung wegen.

Volodine hat sich mit diesem überfrachteten Roman einfach zu viel vorgenommen. Bedenkt man, dass die großen Fragen ausgehandelt werden: Was ist Wahrheit?, Was kann Literatur?, Wie halten wir es mit Kindersoldaten, genmanipulierten Tieren oder Krieg? und vor allem: Wie kann solch eine düstere Zukunft aufgehalten werden? Volodine hätte mit seinem phantastischen Potential mehr daraus machen können, indem er weniger Themen verarbeitet hätte.

 

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